Im vierten Teil unserer Interviewserie zur Bundestagswahl 2017 bekamen wir von Dieter Janecek, Sprecher für Wirtschaftspolitik der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausführliche Antworten auf unsere vorab schriftlich gestellten Fragen. Der 41-jährige Politikwissenschaftler mit österreichischen Wurzeln begeistert sich in seiner Freizeit für den südamerikanischen Kontinent und hört gerne klassische Rockmusik. Von 2008 bis 2014 war der zweifache Vater Landesvorsitzender der bayerischen Grünen und ist seit 2013 Mitglied des deutschen Bundestages.
Die-Wirtschaftsnews: Die Industrienation Deutschland liegt beim Thema Digitalisierung im internationalen Vergleich weit zurück. Welche konkreten Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht sofort angegangen werden um den Rückstand auf andere Länder aufzuholen?
Dieter Janecek: Zunächst muss die Netz- und Digitalpolitik gebündelt und besser koordiniert werden und am Kabinettstisch vertreten sein. Bestehende Gesetze und Regulierungsinstrumente müssen auf ihre Anwendbarkeit und Effektivität in der digitalen Welt überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Deutsche Unternehmen erleiden Milliardenschäden durch IT-Angriffe. Die Gewährung der IT-Sicherheit als konstitutives Element der digitalen Welt muss deutlich gestärkt werden. Wir streben einen flächendeckenden Glasfaserausbau an. Dafür soll der Bund seine 14,5% Aktienanteile an der Deutschen Telekom AG marktneutral an die KfW veräußern. Den Erlös von ca. 10 Milliarden Euro soll er in eine staatliche Breitbandinfrastrukturgesellschaft einbringen, die vornehmlich in die „weißen Flecken“ auf der Breitbandlandkarte in den Glasfaserausbau investiert. Deutschland ist weit abgeschlagen bei der elektronischen Behördenkommunikation (E-Government). Wir wollen dies mit einem einheitlichen Portalverbund für alle elektronischen Verwaltungsvorgänge voranbringen. Für Unternehmen ist das einzuführende Prinzip „once-only“ eine deutliche Erleichterung. Insbesondere für den Mittelstand wollen wir ein dezentrales IT-Beratungsnetzwerk für den digitalen Wandel voranbringen, dessen Beraterinnen und Berater IT-Sicherheit überprüfen, anbieterunabhängige Verbesserungsvorschläge geben und Empfehlungen dafür aussprechen, wie sich Mittelständler bei Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung zukunftsfähig aufstellen können.
Viele Gründerinnen und Gründer scheitern weil sie sich in der Gründungszeit nicht auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Welche Maßnahmen planen „Die Grünen“ um Jungunternehmer zu unterstützen?
Wir investieren in eine neue Gründerzeit, denn gute Ideen dürfen nicht an knappen Eigenmitteln oder bürokratischen Regeln scheitern. Wer gründen will und ein tragfähiges Konzept hat, kann deshalb ein zinsloses Darlehen in Höhe von 25.000 Euro erhalten. Wir schaffen bessere Bedingungen für Wagniskapital mit einem Venture Capital Gesetz und stärken Crowdfunding. Besonders für Gründer ist es wichtig, dass sie sich um ihre Gründung kümmern können, nicht um Bürokratie und Behördengänge. Wir wollen sie deshalb zwei Jahre von Melde- und Berichtspflichten entlasten. Gründungsberatung und –förderung soll aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ erfolgen und wir wollen Regeln vereinfachen, z.B. sollen viel mehr Unternehmen die Umsatzsteuer erst abführen müssen, wenn der Kunde bezahlt hat (Ist-Versteuerungsgrenze auf 2 Mio. EUR vervierfachen). Kleine Anschaffungen bis 1.000 Euro sollen sofort abgeschrieben werden können und wir wollen einen steuerlichen Forschungsbonus von 15 Prozent einführen, der innovativen Unternehmen unkompliziert unter die Arme greift.
CDU und FDP wollen Familien insbesondere durch Zugeständnisse bei der Grunderwerbsteuer unterstützen. Welche Maßnahmen planen „Die Grünen“ um Familien finanziell zu entlasten?
Alleinerziehende und Familien ohne Trauschein werden im Steuerrecht benachteiligt. Wir wollen mit unserem Familienbudget im Umfang von 12 Milliarden Euro Familien stärken und Kinderarmut bekämpfen. Ein Kindergeldbonus für Familien mit niedrigem Einkommen und Alleinerziehende garantiert, dass Kinder bekommen, was sie zum Leben brauchen. Unser Familienbudget enthält auch höhere Kinderregelsätze, die den tatsächlichen Bedarf decken. Die steuerlichen Kinderfreibeträge werden in eine Kindergrundsicherung für alle Kinder zusammengefasst. Das fördert zukünftig alle Kinder gleich und entlastet Familien mit mittleren Einkommen.
Auch wir halten es für richtig, Familien beim Wohnen zu unterstützen. Unsere Priorität liegt auf mehr bezahlbarem Mietwohnraum, damit Wohnen auch für Familien mit kleinen Einkommen wieder bezahlbar wird. Ein Baustein sollte dabei sein, Familien bis zu einer gewissen Einkommensgrenze beim Erwerb selbstgenutzten Wohneigentums oder Genossenschaftsanteils mit einem Zuschuss zum Eigenkapital zu fördern.
Das ursprüngliche Ziel von einer Million zugelassenen Elektroautos in Deutschland bis 2020 wird deutlich verfehlt. Wie kann die Politik die deutsche Automobilindustrie in der Entwicklung konkurrenzfähiger Autos unterstützen um die Weltmarktstellung zu sichern?
Um ihre Wettbewerbsstärke zu sichern, muss die deutsche Automobilwirtschaft bei der Energie- und Antriebswende sowie rund um die Megatrends Digitalisierung, Sharing Economy und automatisiertes Fahren eine Führungsposition erlangen. Hier liegen Potentiale für neue Geschäftsfelder, Innovationen und zusätzliche Wertschöpfung. Vorn bleiben die Unternehmen, die diese Trends zu Erfolgsmodellen machen und moderne Mobilitätsprodukte und -dienstleistungen anbieten. Mit dem Zieljahr 2030, ab dem ausschließlich Autos mit abgasfreiem Antrieb neu zugelassen werden dürfen, setzen wir einen klaren und verlässlichen Ordnungs- und Investitionsrahmen für die Automobilunternehmen. Mit einem „Zukunftspakt Batteriezellentechnologie“ wollen wir dafür sorgen, dass diese für die automobile Wertschöpfung zentrale Kompetenz am Industriestandort Deutschland aufgebaut wird. Wir wollen das Bundesprogramm für die Errichtung von Ladeinfrastruktur ausweiten und die Errichtung von Ladesäulen vereinfachen. Wir werden eine Beschaffungsoffensive für Elektrofahrzeuge in öffentlichen Fuhrparks (z. B. Müll- und Kehrfahrzeuge) auflegen und durch ein Bonus – Malus –System in der Kfz-Steuer einen starken Anreiz für den Kauf emissionsarmer Pkw setzen. Dafür soll auch die Besteuerung von Dienstwagen künftig an den CO2-Ausstoß gekoppelt werden und Subventionen für klimaschädliche Kraftstoffe im Verkehrssektor sollen auf den Prüfstand und schrittweise abgebaut werden.
Deutschland hat in den letzten Jahren eine Führungsrolle in Sachen Umwelt/Klimaschutz übernommen. Welche Maßnahmen denken Sie an um unsere Natur bestmöglich zu schützen und in welchem Zeitraum können diese vollzogen werden?
Leider hat Deutschland in den vergangenen Jahren seine Führungsrolle beim Klima- und Umweltschutz eingebüßt. Die Regierungen unter Bundeskanzlerin Merkel haben den seinerzeit von Rot-Grün – mit dem Atomausstieg und der Einführung des Erneuerbaren Energien Gesetzes – erfolgreich beschrittenen Weg nicht konsequent fortgeführt. Zuletzt hat die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren gedeckelt und die schmutzige und klimaschädliche Kohle unter Bestandschutz gestellt. Im Verkehrsbereich wurde weiter auf die klimaschädliche fossile Verbrennungstechnik gesetzt, insbesondere in Form des umwelt- und gesundheitsschädlichen Diesels.
In vielen Zukunftstechnologien droht Deutschland aktuell den Anschluss zu verlieren. Nur durch einen konsequenten Umwelt- und Klimaschutz sowie den Ausbau der Erneuerbaren Energien erhalten wir unseren Planeten lebenswert und sichern langfristig den Standort Deutschland.
Nichthandeln wird teurer als Handeln. Deshalb wollen wir die Wirtschaft jetzt ökologisch modernisieren. Das heißt u.a.: Kohleausstieg und 100 Prozent Erneuerbare Energien im Strombereich bis 2030; umwelt- und klimaschädliche Subventionen abbauen und in den Klimaschutz investieren; Landwirtschaft ohne Gift, Gentechnik und Massentierhaltung; Schutz der Natur und der Artenvielfalt. Wir schützen unsere Gewässer und Meere vor Gülle, Gift und Plastik und führen eine Kreislaufwirtschaft ein, die Abfall als Rohstoff nutzt. Ein Wettbewerb um die besten Lösungen zur Erhalt der Umwelt und zur Bekämpfung des Klimawandels spornt uns an, neue und bessere Technologien zu entwickeln. So können wir zum Beispiel teure Energieimporte – viele davon gerade auch aus autokratisch regierten Staaten – einsparen und Konflikte um Rohstoffe verhindern. Der globale Wettbewerb um die Technologien von morgen ist in vollem Gange. Wir wollen, dass Deutschland dabei vorne mitspielt.
Die abschließende Frage welche wir jeder Partei stellen: Wieso sollen die Bürgerinnen und Bürger Ihrer Partei am 24. September die Stimme geben?
Weil wir die Zukunft zum Gegenstand der heutigen Wirtschaftspolitik machen. Die meisten Bürgerinnen und Bürgern wollen keine Vermüllung der Meere, keine Massentierhaltung und keine Abgasskandale. Für diese Interessen treten wir konsequent ein. Uns geht es um Ökologie, uns geht es aber auch um gute Arbeitsplätze und erfolgreiche Unternehmen hier am Standort. In der nächsten Wahlperiode müssen die Weichen gestellt werden. Das ist im Interesse von Unternehmen und Arbeitsplätzen, denn die ökologische Modernisierung ist die existentielle Aufgabe unserer Zeit und zugleich die Zukunftsversicherung unserer Wirtschaft. Dafür werben wir um Stimmen, dafür werden wir in der nächsten Wahlperiode eintreten, am liebsten in der Regierung.
Politische Vita Dieter Janecek
- 1995–1999 im Kreisvorstand Rottal-Inn
- 2000 Schatzmeister Grüne Jugend Bayern
- 2001–2003 Vorsitzender Grüne Jugend München
- 2003 Wahlkampfleiter Grüne Jugend Bayern
- seit 2003 hauptberuflich beim Landesverband
- 2005–2008 Landesgeschäftsführer der bayerischen Grünen
- 2006–2008 Vorsitzender des Ortsverbands Neuhausen-Nymphenburg
- Mitglied in der AG Netzbegrünung
- 2008–2013 Mitglied im Bezirkstag von Oberbayern
- 2008–2014 Landesvorsitzender der bayerischen Grünen
- 2010–2013 Mitglied im Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg
- Mitglied im Beirat der Akademie für Politische Bildung Tutzing
- seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages