Seit Mai 2016 ist Rouven Schröder als Sportdirektor verantwortlich für den Fußball-Bundesligisten Mainz 05. Schon in seinem ersten Amtsjahr musste er aufgrund von sportlichen Problemen und Turbulenzen rund um die Vereinsführung seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Vor wenigen Tagen stand uns der gebürtige Sauerländer für unsere Fragen rund um seine Person, den Verein und Entwicklungen rund um die Vermarktung des Fußballs zur Verfügung.
Herr Schröder, der Vorstandsvorsitzende Kaluza zog zuletzt eine 100-Tages-Bilanz seiner Tätigkeit bei Mainz 05. Wie fällt Ihre persönliche 500/600-Tages-Bilanz aus? Haben Sie es sich leichter vorgestellt?
Ich glaube, dass sich im Vorfeld andere fast noch mehr Gedanken gemacht haben als ich. Natürlich wurde ich davor gewarnt, was mich in Mainz erwarten könne. Nicht wegen des Vereins an sich, der eine unglaubliche, sehr sympathische Strahlkraft besitzt. Dass der Verein diese zu Recht hat, hat sich mir schnell bestätigt, besonders in der täglichen Arbeit. Es ging eher um die oft angesprochene Nachfolge von Christian Heidel, der hier natürlich große Fußstapfen hinterlassen hat. Aber ich habe mich von Anfang an wohlgefühlt, mit den Menschen vor Ort und mit der Art und Weise, wie man miteinander arbeitet. Von daher bin ich bestätigt worden, dass der Verein eine unheimliche Kraft hat. Dass wir intern auch alle zusammenhalten, hat letztes Jahr dazu geführt, dass wir die Klasse gehalten haben. Ich bin einfach angekommen, ich fühle mich wohl. Und dass nicht immer alles komplett reibungslos läuft, ist ganz normal für jeden in einem Job. Wir haben, so glaube ich, schon einige Steine aus dem Weg geräumt und wirklich einen sehr guten Job gemacht. Ich würde sagen die Bilanz fällt so aus, dass im ersten Jahr alles dabei war. Wir haben eine gute Europa League gespielt – man sieht das ja jetzt an den aktuell europäisch spielenden deutschen Vereinen, dass es gar nicht so leicht ist, neun Punkte zu holen. Wir sind als bester Gruppendritter ausgeschieden, dann in der Bundesliga in einer sehr ausgeglichenen Liga leider in den Abstiegskampf abgerutscht. Aber wir haben es gemeistert.
Nicht nur sportlich, auch im Gesamtverein war ja einiges los.
Wir hatten das ganze Jahr die Personaldiskussion rund um unseren ehemaligen Präsidenten Harald Strutz. Es gab viel zu moderieren, viel zu bewerten. Es war so etwas wie ein Prüfstand. Da habe ich das Ausmaß des Drucks gespürt, den man hat, wenn man in der ersten Reihe steht. Man merkt schnell, ob man mit den Aufgaben wachsen kann oder an ihnen eingeht.
Das merkt man nämlich eigentlich nur in schlechten Zeiten. Wenn es positiv ist, sind alle gerne vor der Kamera oder in der Zeitung. Wenn es nicht läuft, dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich habe meine Aufgabe auch darin gesehen, einfach den Kopf oben zu behalten und die Dinge im Sinne des Vereins zu regeln, entscheiden und voranzugehen. Wir können es nur als Team, als Verein schaffen. Wenn wir alle zusammenstehen, können wir die Dinge bewältigen.
Deshalb bin ich eigentlich mit dem Stand zufrieden. Es geht immer besser, keine Frage. Grundsätzlich haben wir im Kern das weitergeführt, was auch in der Vergangenheit geleistet worden war: Hohe Transfereinnahmen zu generieren, mit denen man die Mannschaft noch attraktiver gestalten und wieder neue Ideen sammeln kann.
Ich habe es immer wieder gesagt: Wir können nicht stagnieren. Wenn wir stagnieren, werden wir auf Dauer keine Chance haben in der Bundesliga. Wir müssen uns immer weiterentwickeln, um diesen Stand zu halten. Das ist glaube ich die Grundsituation, derer sich alle hier bewusst sein müssen: Wenn Mainz 05 die Bundesliga hält, dann hat eine Weiterentwicklung stattgefunden. Es kann mal Ausreißer nach oben geben. Aber da müssen mehrere glückliche Faktoren zusammenkommen.
Wir haben viel zu tun, wir haben einen neuen Vorstandsvorsitzenden, wir haben einen neuen Aufsichtsrat. Wir haben neue Leute in diesem Verein, das Rädchen dreht sich ja sowieso immer weiter. Wir haben nach zwei Niederlagen zu Beginn insgesamt einen guten Start hingelegt. Und von daher sind wir wieder voll im Thema. Ein Resümee ziehen muss man nicht, denn es geht eh immer weiter.
Und dieser Druck letztes Jahr nach der Niederlagenserie, auch medial. An Martin Schmidt festzuhalten. Wie hält man den aus?
Wir haben uns gefragt: „Was ist die bestmögliche Entscheidung für uns alle?“. Wir waren davon überzeugt, an Martin festzuhalten. Im Endeffekt hat es sich als richtige Entscheidung bestätigt, Gott sei Dank. Denn wir wissen aber auch alle, wenn es schiefgeht, dann dreht sich das Ganze noch mal und die Bewertung wäre ganz anders ausgefallen.
Es ist wichtig, bei seinen Entscheidungen immer rational zu bleiben, egal wie stürmisch es gerade ist. Man muss viele Dinge ausblenden, klar bleiben. Und im Endeffekt kann man es eh nichts bewerten, solange das Ganze noch nicht beendet ist. Hinterher kann man einen Strich ziehen und sagen, das war gut, das war schlecht. Aber zunächst einmal musst du dich auf das Wesentliche konzentrieren und zusammenstehen. Insofern ist es wichtig, dass man das Ganze ein bisschen aus der Mitte betrachtet. Es bringt nichts, nach ein paar Erfolgen völlig durchzudrehen und nach ein paar Niederlagen völlig down zu sein.
Wurden Sie von einem Coach in punkto Außendarstellung geschult?
Nein. Ich habe in allen meinen Stationen (Anmerkung: Bremen, Fürth) Interviews gegeben. Auch als Spieler. Ich musste mich nicht nur bei positiven Augenblicken äußern, sondern auch bei negativen. Ich war da immer sehr, sehr neugierig auf das Feedback von den Pressesprechern/Pressesprecherinnen. Wie war die Wortwahl, die Rhetorik? Es ist wichtig, dieses Feedback zu bekommen. Gewisse Dinge wirst du nicht ändern, und eine gewisse Authentizität in der Sprache muss man sich auch behalten, damit es nicht schematisch und robotermäßig wird. Aber ich habe mich immer selbst hinterfragt und Feedback aufgenommen, um mich in diesem Bereich zu optimieren.
Darf man als Sportvorstand einer Bundesligamannschaft eigentlich auch Fan sein oder benötigt man eine gewisse Distanz, um besonnene Entscheidungen zu treffen?
Es geht beides. Du kannst leidenschaftlich sein an der Linie, dann kannst du aber auch wieder ruhig auf der Bank sitzen. Das ist ja auch bei mir unterschiedlich. Man ist Scout, ist Fußballfan. Man guckt gerne Fußballspiele, lässt sich gerne begeistern, leidet mit. Als Sportvorstand kann man nah an der Mannschaft sein, nah am Trainer und am Trainerteam und braucht dennoch den nötigen Abstand, auch unpopuläre Entscheidungen treffen zu können. Da muss jeder seinen Weg finden. Für mich ist es wichtig, dabei authentisch sein und ehrlich hinter allem zu stehen. Solange man authentisch ist, kannst du auf der einen Seite nah dran sein, auf der anderen Seite aber wenn es notwendig ist auch problemlos die Peitsche auspacken. Ich lasse mich da von meinem Gespür leiten. Wenn ich das Gefühl habe, jetzt bist du auch ein bisschen zu nah dran, ist es an der Zeit, wieder etwas Abstand zu gewinnen.
Aber diese Dinge muss man für sich selbst herausfinden, man lernt über die Jahre, was für einen persönlich der richtige Weg ist. Ich habe in sehr vielen Bereichen gearbeitet, in der Analyse, im Scouting, im Trainerbereich und auch im Außendienst – das hat meines Erachtens geholfen. Wichtig war mir dabei immer, auf Kommunikation zu setzen. Die Art wie Menschen kommunizieren verrät viel, nicht nur verbal sondern auch durch die Gestik und Mimik. So zum Beispiel auch beim Anwerbungsgespräch, wenn du einen Spieler vor dir sitzen hast. Es ist wichtig auszuloten – was ist da für ein Charakter, passt der in die Gruppe, ist er jetzt eher schüchtern oder ist er arrogant?
Viele prägende Köpfe der letzten Jahre haben den Verein verlassen. Mit Sandro Schwarz ist wieder einer dazu gekommen, der zu der Frank / Klopp-Ära schon im Verein als Spieler tätig war. Gibt es denn irgendjemanden oder ist das vielleicht sogar auch Sandro Schwarz, mit dem man über die Vergangenheit spricht von diesem Verein? Redet man darüber oder wie konnten Sie das aufsaugen was den Verein auch früher ausgemacht hat? Auch im Hinblick auf sie Stagnation bei den Zuschauerzahlen. Oder ist es kein Thema mehr und man denkt nur noch zukunftsorientiert?
Ich bin ein großer Freund davon, dass auch heute noch jeden Tag die Historie in unserem Verein gesprochen wird. Ohne diese Zeit würde es uns ja heute in der Form nicht geben. Die ganzen prägenden Köpfe sind für uns unglaublich wichtig. Das habe ich auch beim Nikolce-Noveski-Abschiedsspiel gesehen. Es war uns allen ein großes Bedürfnis, den Fans da noch einmal alle alten Helden zu präsentieren. Es war ein Riesenaufwand so ein Event hinzuzaubern, aber es hat sich gelohnt. Es hat einmal mehr gezeigt, was dieser Verein für tolle Spieler, tolle Charaktere, tolle Trainer hervorgebracht hat. Das Schwelgen in alten Zeiten in allen Ehren – es ist gleichzeitig aber auch wichtig, sich von Tradition nicht so sehr die Sinne vernebeln zu lassen, dass man die Aufgaben des Hier und Jetzt aus den Augen verliert. Fakt ist: Wir haben es schwer, bei der starken Konkurrenz in der Bundesliga zu bestehen, und es wird auch künftig immer schwieriger. Und dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.
Ich glaube, man muss mehr machen, um die Zuschauer ins Stadion reinzuholen. Wichtig ist dabei, dass man Gas gibt – das heißt die Wünsche der Fans zu hören und ihnen etwas zu bieten – und gleichzeitig immer selbstkritisch hinterfragt, was die Gründe dafür sein könnten, dass die Zuschauer wegbleiben. Wenn man diese Anstrengungen unternimmt und der Zuschauer dann nicht kommt, weil es zwei Grad wärmer oder kälter ist, dann kannst du es an diesem Tag auch nicht ändern.
Wir müssen weiter eine attraktive Mannschaft haben. Und trotzdem kannst du die Zuschauer nicht in Ketten ins Stadion ziehen. Wenn wir am Ende der Saison einen Strich drunter machen, werden wir wieder einen ordentlichen Zuschauerschnitt haben. Hierbei muss man übrigens auch den Schnitt der Gästefans hinzurechnen. Am Anfang der Saison hatten wir Gegner, die zwar attraktiv sind, aber selbst auch nicht so viele Zuschauer mitbringen. Das wird in den kommenden Spielen auch anders werden.
In Mainz wächst die nächste Fangeneration ja gerade auch erst an. Der Verein hat ja nicht die lange Bundesligatradition wie in Frankfurt. Wenn jetzt die Väter von vor 15, 20 Jahren, Ihre Kinder mitnehmen ins Stadion entwickelt sich das ja erst.
Genau. Wir kommen in Mainz mittlerweile an erster Stelle. Drumherum wird es da schon schwieriger – immerhin haben wir direkte Konkurrenten um die Fans wie Eintracht Frankfurt oder den 1. FC Kaiserslautern in unmittelbarer Nähe. Aber, wie gesagt, die nächste Generation wächst heran und wir müssen alles dafür tun, dass wir da einen guten Job machen.
Im Vergleich mit anderen Vereinen besitzt Mainz 05 ein vergleichbar geringes Budget. Ist man hier finanziell wirklich so viel schlechter aufgestellt oder wird einfach gut gehaushaltet?
Wir spielen in der Bundesliga und wir wirtschaften gut. Als Verein sorgfältig mit dem Geld umzugehen gehört zu unserer Philosophie. Natürlich verdienen auch unsere Spieler gutes Geld. Aber im Budgetranking sind wir unter den letzten drei, vier Vereinen in der Bundesliga, trotz unseres guten Budgets. Mainz 05 hat sich auch in dieser Hinsicht entwickelt, Transfersummen zwischen 5 und 6 Millionen eingesetzt. Spieler dann wieder sehr gut weiterverkaufen zu können, entspricht unserer Philosophie: Wir sind ein Aus- und Weiterbildungsverein. Das ist die Nische, die wir erfolgreich besetzen. Wir sind aktuell gut aufgestellt und werden es auch in Zukunft sein, indem wir weiterhin in Infrastruktur und Spieler investieren.
Wenn eine Pokalauslosung (wie zuletzt im englischen Ligacup) in Asien stattfindet und deshalb morgens im heimischen Frühstücksfernsehen übertragen wird. Ist dann die Grenze überschritten, wenn die Fans die eigene Auslosung nicht mehr schauen können? Kommt das auch auf die Bundesliga zu?
Das ist ein ganz, ganz schmaler Grat. Eines muss klar sein: Es ist ein gewisser Kreislauf und dem können wir uns nicht entziehen. Die Geldgeber generieren einen hoch dotierten TV-Vertrag und dementsprechend auch unser Budget. Derjenige, der das Geld gibt, bestimmt letztlich auch die Grenze. Dennoch darf man bei Dingen wie der Pokalauslosung auch den Traditionsaspekt nicht außer Acht lassen. Und unsere Tradition heißt nicht Pokalauslosung im Frühstücksfernsehen.
Wir möchten samstags oder Sonntagabends um eine gewisse Uhrzeit die Leute vor den Kugeln mitfiebern sehen. Das hat Tradition in Deutschland. Das kennt jeder und ich glaube das möchte jeder auch so erleben. Dennoch ist es natürlich klar, dass wir uns an die Regeln halten müssen, welche die Geldgeber ein Stück weit auch definieren. Das wir jetzt in dieser Spielzeit den Spielplan angepasst haben, ist beispielsweise schon eine Riesenumstellung. In manchen Bereichen genießt man jedoch meines Erachtens einen höheren Stellenwert, wenn man es einfach so lässt, wie es ist. Eine Pokalauslosung um 6:30 Uhr ist schwer vorstellbar Ich denke schon, dass damit sensibel umgegangen wird, auch weil wir uns wünschen, dass es so bleibt – und weil es sich bewährt hat. Das Mitfiebern um das Riesenlos, darum, wer gegen Bayern München spielt oder ob wir als Mainz 05 ein Heimspiel bekommen – das muss erhalten bleiben.
Eine Euroliga mit Europas Topmannschaften. Glauben Sie, die wird es geben? Und welche Auswirkungen hätte das auf die Bundesliga?
Ich glaube, dass auch das ein sensibles Thema ist. Irgendwann leidet der ganze Wettbewerb. Dieser hat immer von Duellen David gegen Goliath gelebt, gerade auch in der Champions League. Du musst es spannend halten, sonst interessiert es irgendwann keinen mehr, wenn diese Mannschaften unter sich spielen. Es muss immer diese Herausforderung geben. Das belebt das Geschäft. Der Kleine muss den Großen auch mal schlagen können. Genauso wie im Pokal. Sich da abzugrenzen, macht meines Erachtens wenig Sinn, genauso wie die Idee, dass einige Mannschaften erst in der dritten Runde einsteigen. Die ganz Großen werden sonst immer größer und hinten raus fällt alles runter. Das kann ja nicht Sinn der Sache sein.
Merken
Merken
Merken