Die Wirtschaftsnews

Pofalla, Gabriel und Co.: Eben noch in der Politik – jetzt schon in der Wirtschaft

(Foto: welcomia/shutterstock)

Als im Jahr 2005 Gerhard Schröders Wechsel zum russischen Erdgaskonzern Gazprom bekannt wurde, war es Ronald Pofalla, der sich für „rechtliche Regelungen“, „Selbstverpflichtungen von Regierungsmitgliedern“ und „Karenzzeiten“ ausgesprochen hatte. Zehn Jahre später wechselte der Kanzleramtschef in die Reihen der Deutsche Bahn AG. Jetzt geht auch Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel in die Wirtschaft.

Immer wieder gibt es Kritik, wenn ehemalige Spitzenpolitiker in die Wirtschaft wechseln. Vor allem, wenn nur wenig Zeit dazwischen liegt. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ist da nur ein Beispiel. Seit Juli 2015 führte die Bundesregierung sogenannte Karenzzeiten ein. Auch Ronald Pofalla musste kurz darauf peinlich genau die mittlerweile verpflichtende Sperrfrist von 12 Monaten einhalten. Diese von ihm selbst mitinitiierte Auszeit hatte zuvor seinen Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft zeitlich vorübergehend gebremst. Mittlerweile ist Pofalla Mitglied des Vorstands der Deutschen Bahn.

Ex-Vize-Kanzler Gabriel: Wechsel in die Wirtschaft

Gabriel SPD

Sigmar Gabriel – Bald bei der Deutschen Bank? (Foto: berlinpictures16 / Shutterstock.com)

Derzeit kocht die Stimmung hoch, weil Sigmar Gabriel in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank wechseln will. Gabriel war SPD-Chef und bis 2018 Vize-Kanzler.z Ein Geschmäckle hat das zudem nicht nur, weil Gabriel auch als Wirtschaftsminister tätig war. Der Ex-Spitzenpolitiker soll angeblich auf Wunsch der umstrittenen Herrscherfamilie aus Katar auf den Posten des Geldinstituts gehievt werden, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Aber Schröder, Pofalla und Gabriel sind bei Weitem keine Einzelfälle. Der Seitenwechsel von Politikern in die Wirtschaft, auch „Drehtür-Effekt“ genannt, ist ein immer wiederkehrendes Motiv in Politikerkarrieren, an dem die vielfältigen Verflechtungen von Politik und Wirtschaft sichtbar werden.

Politiker, die durch die Drehtür gehen

Von der Politik in die Wirtschaft – Hannelore Kraft. (Foto: NRWSPD)

Nach ihrer Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen legte Hannelore Kraft (SPD) ihre politischen Ämter nieder und wechselte in den Aufsichtsrat des Steinkohlekonzerns RAG, der sich nach Schließung der letzten Bergwerke um den regionalen Strukturwandel um Bottrop bemühen soll. Thorsten Albig (SPD), ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, wechselte nach der Abwahl als Repräsentant für DHL nach Brüssel.

Kurt Beck (SPD) trat im Januar 2013 aus gesundheitlichen Gründen vom Amt des Ministerpräsidenten in Rheinland-Pfalz zurück und ist seit Juni 2013 als Berater im Gremium des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim tätig. Roland Koch (CDU) gab 2010 sein Amt als Ministerpräsident in Hessen auf, um eine Tätigkeit beim Baukonzern Bilfinger Berger aufzunehmen. Der Konzern hatte sich zuvor den Auftrag für den Ausbau des Frankfurter Flughafens – auch in Hessen — sichern können.

Dirk Niebel (FDP), ehemaliger Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, setzte nach Niederlegung seines Amtes im Jahr 2013 seine Arbeit mit Beginn des Jahres 2014 in der eigenen Unternehmensberatung Niebel International Consulting fort. Hier hat er sich auf die Beratung von Unternehmen in wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Afrika und dem Nahen Osten spezialisiert und wirbt mit seinen langjährigen Kontakten zu Regierungskreisen und NGOs.

Als „Bundesminister a.D.“ steht er als Kontaktperson für Rückfragen zur Verfügung. Seit 2015 ist er außerdem für das Automobil- und Rüstungsunternehmen Rheinmetall AG als Leiter für Regierungsbeziehungen tätig. Der Konzern war ihm zu diesem Zeitpunkt bereits gut vertraut, hatte er doch noch im Bundessicherheitsrat mit darüber entschieden, welche Waffenexporte des Konzerns politisch mitgetragen wurden.

Wirtschaftliche Interessen

Für viele Unternehmen sind ehemalige Beamte und Politiker vor allem deswegen interessant, weil sie die politischen Prozesse und Strukturen genau kennen. Sie sind damit vertraut, formalgetreue Anträge zu stellen und wissen genau, an wen diese zu richten sind.

Zeichnet sich für Politiker schon während der Amtszeit eine Option auf eine spätere Tätigkeit in der Wirtschaft ab, sind sie vermutlich durchaus geneigt, Entscheidungen so zu treffen oder zu beeinflussen, dass sie damit die Weiterbeschäftigung in einem Wirtschaftsunternehmen nach Ablauf des zeitlich befristeten politischen Mandats begünstigen. Kritiker sehen darin einen nicht zu leugnenden Interessenskonflikt. Sie werfen den Seitenwechslern vor, den immer wieder beklagten Vertrauensverlust in die Politik dadurch mit zu verursachen.

Je augenfälliger die bestehende Verflechtungen zwischen Politik, Unternehmen oder Verbänden zutage träten, umso mehr nehme das Vertrauen in die Unabhängigkeit von politischen Entscheidungsträgern ab. Der Verein Lobbycontrol bezeichnete das Bundeskanzleramt sogar als „Talentpool“ für die Wirtschaft.

Kann die Abwanderung von Politikern in die Wirtschaft überhaupt unterbunden werden? Sind Migrationsbewegungen von der Politik in die Wirtschaft nicht völlig selbstverständlich?

Rechtfertigungen der Seitenwechsler gleichbleibend

Seitenwechsler erklären regelmäßig ihr Unverständnis, wenn man sie mit Vorwürfen konfrontiert, sie würden sich durch die neuen Aufgaben durch Lobbyismus kompromittieren. Die Rechtfertigungsversuche lauten dann immer ähnlich:

Aber sind die in der Politik erworbenen Kompetenzen tatsächlich denen vergleichbar, die sonst von einer Führungskraft in der Wirtschaft erwartet werden? Wird die auch vom Unternehmen unterstellte „Kompetenz“ vielmals nicht nur durch „Vitamin B“ ausgeglichen, mit dem ein Unternehmen wertvolle persönliche Kontakte in einflussreiche Kreise einkauft?

Für Daniel Bahr (FDP) mag das Argument der fachlichen Kompetenz ziehen. Bahr wechselte nach Verlust des Bundestagsmandats und seiness Posten als Gesundheitsminister 2014 als Generalbevollmächtigter zur privaten Versicherungskonzern Allianz SE. Seit 2017 ist er dort Mitglied des Vorstands.

Der ausgebildete Bankkaufmann mit einem Masterabschluss in Gesundheitswissenschaft habe eigentlich eine Karriere in der Wirtschaft angestrebt. Seine Zeit als Politiker und Gesundheitsminister betrachte er mittlerweile eher als Ausflug, erklärt er der SZ in einem Interview. Sein Werdegang habe ihn sonst eigentlich für eine Tätigkeit bei einer Versicherungsgesellschaft geradezu prädestiniert.

„Pflege-Bahr“ hilft Versicherungsanbietern

Die von ihm eingeführte private, vom Staat geförderte, Pflegezusatzversicherung, der sogenannte „Pflege-Bahr“, hatte indirekt die Nachfrage nach privat angebotenen Versicherungen angekurbelt. Seinem neuen Arbeitgeber hat das unabhängig von dem perfekt auf die Tätigkeit bei der Versicherung zugeschnittenen Lebenslauf vielleicht nur zusätzlich gefallen.

Unwahrscheinlicher ist, dass Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen), ehemalige Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, ihr Büro bei der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse auf anderem Weg als durch die Drehtür betreten hätte. Die gelernte Biologisch-Technische Assistentin und Studienabbrecherin der Fächer Kunstgeschichte, Afrikanistik, Romanistik, Politik und Chemie übernahm mit 1. Juli 2018 unter anderem die Verantwortung für die landesweite Medienarbeit der Krankenkasse. Laut Pressemitteilung des neuen Arbeitgebers kenne sie das „Gesundheitswesen in seiner ganzen Breite“ und sei eine „ausgewiesene Expertin und Führungspersönlichkeit“.

Karenzzeit für Wechsel in die Wirtschaft

Paradoxerweise ist der Hinweis auf die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Sperrfrist mittlerweile ausreichend, um die Entscheidung von Politikern und Unternehmen über die Fortsetzung ihres Dialogs auf einer anderen Ebene zu rechtfertigen. Seitdem die Karenzzeit gesetzlich eingeführt wurde, ist eine Weiterbetätigung nach Ablauf der vorgeschriebenen Sperrfrist für die Politiker völlig unproblematisch geworden. Was legal ist, kann auch nur legitim sein.

Das bundesweite Gesetz zur Einführung einer Karenzzeit von 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus der Bundesregierung gilt seit 2015. Während dieser Sperrzeit besteht eine Anzeigepflicht, beabsichtigt ein Regierungsmitglied, ein neues Amt aufzunehmen. Die Aufnahme der Tätigkeit kann in dieser Phase untersagt werden. Ist dies der Fall, soll die Untersagung aber nur in Ausnahmefällen länger als ein Jahr dauern und darf maximal für 18 Monate gelten. Während der Karenzzeit erhalten die ehemaligen Mitglieder der Regierung kompensatorisch ein Übergangsgeld. Werden die Sperrfristen nicht eingehalten, können Ansprüche auf Versorgungsbezüge hinfällig werden.

Verlängerung der Karenzzeit?

Für Lobbyismuskritiker ist die Dauer der Sperrfrist noch nicht ausreichend. Sie fordern, dass man die Frist verlängern müsse, damit bestehende Kontakte auskühlen. Es müsse ausreichend viel Zeit verstreichen, damit sich die Personalsituation unter den Entscheidungsträgern so verändert habe, dass eine direkte Einflussnahme unwahrscheinlicher würde.

Eine Verlängerung der Karenzzeit oder gar ein Verbot des Seitenwechsels könnte allerdings umgekehrt auch dafür sorgen, dass Politiker sich stärker opportun der eigenen Partei gegenüber verhalten. Bliebe Politikern nach dem Ausscheiden aus dem Amt nur eine Tätigkeit in einer parteiinternen Stiftung oder das Ehrenamt, wäre möglich, dass ein solches Gelübde zu lebenslanger Enthaltsamkeit von Aufgaben in der freien Wirtschaft fähige Kandidaten von der Übernahme eines politischen Amts ganz abschrecken würde.

Politik von reinen Berufspolitikern, die nichts anderes kennen als die Arbeit innerhalb einer Partei, Stiftungen oder Fraktionen, wäre kaum geeignet, gesellschaftliche Prozesse aus Wirtschaft oder Gesellschaft kompetent abzubilden oder diese effizient und wirklichkeitsnah zu gestalten.

Mögliche Reglementierungen durch das Beamten- und Strafrecht

Nach § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes unterliegen Mitglieder der Bundesregierung und Beamte nach Aufgabe ihres Amtes einer Verschwiegenheitspflicht. Unter Androhung des Verlusts von Versorgungsbezügen ist ausgeschiedenen Beamten laut § 42a BRRG fünf Jahre geboten, der obersten Dienstbehörde die Aufnahme einer Tätigkeit in Zusammenhang zu früheren Aufgaben zu melden. Bei der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen kann diese untersagt werden.

Auch die Strafverfolgung wegen Vorteilsnahme nach § 331 des Strafgesetzbuches ist ein mögliches, bislang aber noch selten eingesetztes Rechtsmittel. Fordert ein Politiker für einen Dienst einen Vorteil als Belohnung sogar ein, kann er wegen Bestechlichkeit § 332 belangt werden. Ermittlungen wegen Vorteilsnahme wurden beispielsweise gegen den ehemaligen Staatsminister Eckart von Klaeden und den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff eingeleitet.

Eckart von Klaeden wechselte 2013 innerhalb von zwei Monaten von seinen Aufgaben als Staatsminister im Kanzleramt als Leiter des Bereichs für Politik und Außenbeziehungen zur Daimler AG. Gegen von Klaeden wurden die Ermittlungen eingestellt. Christian Wulff wurde von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, Hotelkosten in Sylt über den befreundeten Filmproduzenten Groenewald abgerechnet zu haben, 2014 freigesprochen.

Politik plus Wirtschaft – Fazit

Auch wer sich nicht als Politiker engagiert und in einem herkömmlichen sozialen Netzwerk bewegt, sei es einem Verband, Verein oder im Rahmen einer losen gesellschaftlichen Gruppe, verfügt immer über wichtige Kontakte zu einer Vielzahl von Menschen, die nützlich werden können und über die auch Einflussnahme möglich ist. Realitätsfern wäre daher, in einer Zeit zunehmenden, globalen Networkings eine hermetische Trennung von Einflusssphären theoretisch herbeireden oder verlangen zu wollen.

Wer Authentizität fordert und allgemein mehr politisches Engagement wünscht, muss zulassen, dass Menschen, die sich politisch engagieren wollen, sich in Zwischenwelten aus Politik und Wirtschaft bewegen. Bei Verdacht auf Übertretungen des geltenden Rechtsrahmens müssen die bereits geltenden Gesetze schärfer ausgelegt und vorhandene Rechtsmittel rigide eingesetzt werden.

Die Transparenz der Abläufe zwischen Wirtschaft und Politik muss unbedingt erhöht werden. 2013 wurde beispielsweise die Plattform Lobbyplag eingerichtet, um Nutzern zu ermöglichen, Vergleiche zwischen Firmendokumenten und Anträgen, die von EU-Parlamentariern eingereicht wurden, herzustellen.

Auch einen „kritischen Apparat“ zu erlassenen Gesetzen schlug man vor. Dieser könnte eine ähnliche Aufgabe leisten. Mithilfe von Fußnoten könnte man im Anhang von Gesetzestexten darauf hinweisen, welche Passagen welcher Regierungsvertreter oder eine Lobby eingebracht habe und wer sich für eine Formulierung eingesetzt hatte, die letztlich ausgespart blieb.

Ebenfalls interessant: Abschwung: Wirtschaftsweise kritisieren Bundesregierung und Zentralbank

Die mobile Version verlassen