Im zweiten Teil unserer Interviewreihe zur Bundestagswahl freuen wir uns über die Antworten von Michael THEURER MdEP, FDP Präsidiumsmitglied und Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg.
Der bekennende Spätzlefan – einst mit 27 Jahren jüngster Oberbürgermeister Deutschlands (1995 – 2009 Oberbürgermeister der Stadt Horb a.N.) ist ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte und gilt als enger Vertrauter des Parteivorsitzenden Christian Lindner.
Im Interview mit unserem Magazin zeigt er Möglichkeiten auf, wie Jungunternehmer in der Gründungszeit besser unterstützt werden können und wie auch Deutschland stärker als bisher vom digitalen Fortschritt profitieren kann:
Die Industrienation Deutschland liegt beim Thema Digitalisierung im internationalen Vergleich weit zurück. Die FDP scheint die Partei zu sein, welche sich am stärksten für das Thema „Digitalisierung“ einsetzt. Welche konkreten Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht sofort angegangen werden um den Rückstand auf andere Länder aufzuholen?
Wir wollen sicherstellen, dass die Menschen und Betriebe auch in Deutschland die Chancen des digitalen Fortschritts ergreifen können. Voraussetzungen hierfür sind der flächendeckende Ausbau der digitalen Infrastruktur mittels Glasfasertechnologie, der rasche Übergang zur 5-G-Mobilfunktechnologie und ein diskriminierungsfreier Internetzugang durch Netzneutralität. Zudem setzen wir auf bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die digitale Ökonomie, flexiblere Arbeitszeitmodelle sowie die Wiederherstellung der informationellen Selbstbestimmung der Bürger. Dafür brauchen wir auch einen konsequenten Abbau von bürokratischen Barrieren für Innovationen, mehr Offenheit gegenüber neuen Ideen und Technologien, die Digitalisierung der Schulen und die entsprechende Ausbildung von Lehrkräften und eine Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen durch digitale Interaktionsmöglichkeiten.
Viele Gründerinnen und Gründer scheitern, weil sie sich in der Gründungszeit nicht auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Welche Maßnahmen plant die FDP um Jungunternehmer zu unterstützen?
Richtig. Deshalb fordern wir als ersten Schritt ein bürokratiefreies erstes Jahr für Gründer – damit die Ideen und die Entwicklung des Geschäftsmodells im Vordergrund stehen und nicht Papierkrieg mit den Behörden. Wir fordern zentrale Anlaufstellen („One-Stop-Shops“), bei denen alles im Hinblick auf formelle Erfordernisse einer Gründung erledigt werden kann. Wir brauchen mehr Finanzierungsmöglichkeiten durch bessere Rahmenbedingungen für Wagniskapital-Investitionen oder Crowd-Funding und vereinfachte Regelungen und mehr Transparenz in den Steuer- und Sozialversicherungssystemen. Den Grundstein für ein besseres Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen und Selbstständigkeit wollen wir schon an Schulen, Hochschulen und Universitäten legen.
Unpopulär ist die Anhebung der Verteidigungsausgaben. Außer der FDP und der CDU lehnen dies alle größeren Parteien ab. Wieso ist eine Ausweitung aus Sicht der FDP notwendig?
Es ist richtig, dass wir mehr Schlagkraft und Effektivität brauchen. Allerdings wollen wir nicht einfach kopflos Geld investieren. Als FDP kämpfen wir für eine europäische Lösung. Wir wollen die Europäische Armee. Damit würden wir schlagkräftiger, mobiler und dann am Ende sogar günstiger. Heute geben die EU-Mitgliedstaaten halb so viel wie die USA für Rüstung und Verteidigung aus, erreichen aber nur 15 Prozent der amerikanischen Effizienz. Hier ist also noch viel Luft nach oben.
Die FDP lehnt die PKW-Maut ab. Dies birgt Konfliktpotenzial mit der CSU sollte es zu einer schwarz-gelben Regierungskoalition kommen. Wie wollen Sie die CSU davon überzeugen von der Maut abzurücken?
Argumente gegen die Maut gibt es genug. Sie ist unwirtschaftlich, diskriminierend und schafft Probleme ohne substantielle Mehreinnahmen zu generieren. Wir schreiben unser Programm nicht vor dem Hintergrund, welche Punkte mit welcher Partei kompatibel sein könnten. Wir schreiben es aus Überzeugung – weil wir glauben, dass die Umsetzung dieses Programms Deutschland voranbringen kann. Spekulationen über Koalitionen wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht anstellen. Klar ist für die FDP, dass es in jeglicher Zusammensetzung darauf ankommen wird, ob zentrale Projekte der FDP auch umgesetzt werden können.
Das ursprüngliche Ziel von einer Million zugelassenen Elektroautos in Deutschland bis 2020 wird deutlich verfehlt. Wie kann die Politik die deutsche Automobilindustrie in der Entwicklung konkurrenzfähiger Autos unterstützen um die Weltmarktstellung zu sichern?
Nicht durch Kaufprämien oder ein Verbot des Verbrennungsmotors. Das Scheitern der Kaufprämie zeigt, dass Menschen Autos, die sie für unpraktisch, ineffizient und ökologisch fragwürdig halten auch dann nicht kaufen, wenn man sie ihnen künstlich günstiger anbietet. Was fehlt, ist vor allem die richtige Infrastruktur und eine Forschungsförderung, die technologieoffen ist. Das Elektroauto ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Auch herkömmliche Antriebsarten wie der Diesel lassen sich effizienter und ökologischer gestalten, zum Beispiel durch die Harnstoffeinspritzung. Auf der anderen Seite sind Brennstoffzellen-Antriebe ebenfalls im Kommen. Die Politik weiß eben nicht am besten, was sich am Ende beim Verbraucher durchsetzt. Wir sehen also zweierlei. Das Setzen auf Elektromobilität hat nicht zwingend etwas mit Konkurrenzfähigkeit zu tun. Ebenfalls ist die Politik nicht dazu fähig, zukunftsweisende Technologien ausfindig zu machen und Industrien dadurch zu „retten“. Sollte der Elektroantrieb wirklich die Zukunft sein, dann wird sich die deutsche Automobilindustrie auch dort entsprechend aufstellen.
Die abschließende Frage welche wir jeder Partei stellen: Wieso sollen die Bürgerinnen und Bürger Ihrer Partei am 24. September die Stimme geben?
Uns unterscheidet von allen anderen Parteien, dass wir auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung setzen. Dass Selbstbestimmung unsere Maxime ist. Dass wir den Menschen viel zutrauen. Dass wir nicht von ihm als „kleinen Mann“ sprechen, sondern sein Potenzial erkennen. Dass wir nicht das Privatleben der Menschen regulieren wollen, sondern faire Bedingungen zur Verwirklichung eigener Ideen fordern. Faire Wettbewerbsbedingungen ermöglichen mehr Freiheit und damit mehr Chancen. Bürokratie raubt uns Lebenszeit. Wir brauchen passgenaue Angebote bei der Arbeitszeit, flexible Arbeitsmodelle, mehr und flexiblere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, damit wir den unterschiedlichsten Lebensentwürfen der Menschen gerecht werden können. Wo die Sozialdemokraten, Grünen und Linken Erziehungsberechtigte für die Menschen sein wollen, wo CDU/CSU die Menschen vor sich selbst schützen wollen und Angst vor unkonventionellen Lebensentwürfen vertreten, wo autokratische und populistische Parteien gegen Fremde oder Andersgläubige hetzen – da steht die FDP für die Anerkennung jedes Menschen als vernunftbegabtes, freies und eigenverantwortliches Wesen ein.
Die Fragen stellte Patrick Jullien
Zur Person:
Michael Theurer MdEP
Michael Theurer MdEP (*12. Januar 1967 in Tübingen), Diplom-Volkswirt, Oberbürgermeister a.D. und Mitglied des Europäischen Parlaments seit 2009. Michael Theurer ist Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg, Mitglied im Bundespräsidium und Bundesvorstand der FDP. Dort ist er zuständig für die Politikbereiche Wirtschaft und Arbeit. Er ist stellvertretender Vorsitzender und wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Delegation im Europäischen Parlament.
Seit 2014 ist er Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss und Vorsitzender der Australien- und Neuseelanddelegation. Von 2014 bis 2016 war er Mitglied im Haushaltskontrollausschuss, von dem er 2011-2014 den Vorsitz innehatte. Seit Juli 2016 ist er zudem Obmann der ALDE Fraktion im Untersuchungsausschuss zur Prüfung von behaupteten Verstößen gegen das Unionsrecht und Missständen bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung (PANA). Im ersten Sonderausschuss zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung (TAXE 1) war er Ko-Berichterstatter im TAXE 2 Ausschuss war er Mitglied. Von 1995 bis 2009 war er direkt gewählter Oberbürgermeister der Stadt Horb a.N., von 2001 bis 2009 Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg, davon ab 2006 als stellv. Fraktionsvorsitzender. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Lörrach. Im August 2016 heiratete Michael Theurer seine langjährige Lebensgefährtin Dr. med. Antje Giede-Jeppe.
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